2mm Unperfektheit
Neulich, an einem ganz normalen Tag auf der TASH LIVING Showbühne, war es wieder mal soweit und die perfekte Unperfektheit eines Objektes wurde als Unvollkommenheit hingestellt. Konkret ging es um eine schöne Tischleuchte mit muschelförmigem, goldenem Gestell und einer Bakelitfassung, deren Gewindering, einen leinenbezogenen, hellbeigen Lampenschirm trägt. Und dieser Lampenschirm wurde zum Problem des Ganzen, nachdem er durch die Lage am Gewinde der Fassung oder auch durch seine Metallstreben selbst, in eine Richtung, um vielleicht 2mm, nach unten geneigt ist. Eine Dame, die von der Optik der Leuchte durchaus angetan und schon im Begriff war, sich für sie zu entscheiden, stoppte abrupt ab und machte einen Rückzieher weil sie befürchtete, ihr Ehemann würde durchdrehen, wenn er dieses „schiefe“ Ding sieht.
Mit dem Satz, „Das geht gar nicht, mein Mann wird ganz verrückt wenn irgendetwas ein bisschen schief ist“, lies sie wieder davon ab.
Hmm, nun ja, eigentlich habe ich bis jetzt von mir gedacht, dass ich als hypersensitiver Mensch, der selbst immer alles auf Millimeter genau ausrichtet und nicht an Dingen vorbei gehen kann, wenn sie zum Beispiel schief stehen oder nicht im richtigen Abstand zueinander aufgestellt sind, die Perfektionsmesslatte ziemlich hoch ansetzt. Hier habe ich erfahren müssen, dass es auch noch viel höhere Maßstäbe gibt und mich plötzlich eh ziemlich normal gefühlt. 😉
Es reichte nicht zu sagen, dass es sich letztlich um ein von Menschenhand zusammengeschraubtes Objekt handelt und dass es allen handgemachten Objekten inne wohnt, nie zu 100 Prozent perfekt zu sein. Schon gar nicht, im Blickwinkel einer wiederum subjektiven Betrachtungsweise. Denn was ist schon perfekt?
Wir Menschen sind doch auch nicht perfekt! Wir haben Kurven und Kanten die wir verstecken wollen, wir haben Muttermale und Narben, vielleicht ein kürzeres Bein oder schiefe Zähne. Niemand ist perfekt und trotzdem dürfen wir Mensch sein und haben unsere Daseinsberechtigung, so wie wir eben sind, Charakterstücke. Dieser Mann ist sicher auch nicht perfekt und sprengt sich deshalb nicht selbst in die Luft und zum Glück hat er sich von seiner Frau nicht gleich wieder getrennt, weil er vielleicht irgendwann bemerkte, dass sie einen Pigmentfleck oder Wirbel im Haar hat.
Warum also erwarten wir von Dingen, dass sie wie geklonte Schafe aus dem 3D-Drucker kommen müssen, wenn sie doch eigentlich handgemacht sind und ihre eigene Geschichte erzählen? Selbst beim 3D-Druck oder bei Gussteilen hat man Kanten und seitliche Grade, über die man sich aufregen könnte. Aber sind es nicht gerade diese Stellen, die von einem Prozess erzählen und uns sagen, dass die Dinge nicht fix und fertig vom Himmel fallen? Sind es nicht gerade die Fingerabdrücke, die aus einer Messingplatte irgendwann ein unverwechselbares Einzelstück machen, indem sie ihr eine Patina geben? Je länger ich mit handgefertigten Objekten arbeite, desto mehr schätze und liebe ich diese kleinen Unterschiede und sogenannten „Unperfektheiten“.
Ich stelle mir dann vor, wer dieses Ding schon alles in Händen hatte, wie viele Schritte für die Herstellung notwendig sind, von etwas, das vielleicht ganz einfach aussieht. Jede Schnittkante, jede Lötstelle, jede polierte oder geschliffene Fläche, erzählt von den Händen die sie bearbeitet haben und plötzlich erfüllt mich ein Objekt mit Ehrfurcht und Dankbarkeit. Wäre es nicht schön, wenn dieser Blick auf die Dinge, jedem und jeder möglich wäre?!
Alles Liebe, Natascha